Unsere Kollegin Kirsten von Elverfeldt hat vor Kurzem an der Walk21 Konferenz in Lissabon teilgenommen. Hauptthema dieser inspirierenden Veranstaltung war die Neuerfindung des Konzepts “Stadt” durch Umwandeln von Räumen, die auf Autos ausgerichtet sind, in aktive, lebenswerte und lebendige Umgebungen für Menschen. Auf der Konferenz wurden innovative Ideen und Strategien aus der ganzen Welt vorgestellt, um zu veranschaulichen, wie urbane Mobilität die Lebensqualität verbessern kann.
Ein bemerkenswerter Vortrag, “Beyond the Pavement: Empowering Women Through Walking Projects” (Deutsch etwa “Jenseits des Bürgersteigs: Frauen stärken durch Lauf-Projekte”), wurde von Frau Sarika Panda Bhatt gehalten. Sie ist Direktorin von Nagarro sowie Gründungsmitglied und Treuhänderin der Raahgiri Stiftung. Sie betonte die Notwendigkeit, dass Straßen wieder von Menschen beansprucht werden müssen und hob dabei besonders die Umgestaltung des Janpath in Neu Delhi vor. Durch dieses Projekt wurde nicht nur die Zahl der Verkehrsunfälle und Verkehrstoten gesenkt, sondern mittels Fahrradwegen, Straßenbeleuchtung und Ablaufrinnen auch sicherere, besser zugängliche Räume für vulnerable Gruppen geschaffen.
Stadtplanung vs. Klimaschutz
Das Ziel urbaner Innovations-Projekte, deren Fokus auf Begehbarkeit liegt, ist es, Städte in fußgängerfreundlichere Räume umzuwandeln. Dabei gibt es einen steigenden Bedarf an Klimaschutz-Strategien, die aktiv in solche Projekte miteinbezogen werden. Bei vielen der auf der Konferenz vorgestellten Initiativen zur Förderung nachhaltiger Mobilität wurden umfassende Aspekte zum Thema Klima häufig außer Acht gelassen.
Die Notwendigkeit, rasch gegen Treibhausgas-Emissionen vorzugehen, wird im Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change; IPCC) aus dem Jahr 2022 deutlich gemacht, in dem auch der Aufbau von fußgängerfreundlichen, mischgenutzten Stadtgebieten als ausschlaggebende Strategie im Kampf gegen den Klimawandel hervorgehoben wird. Tatsächlich bleibt die Lücke zwischen Stadtplanungs-Initiativen und direkten Klimaschutzmaßnahmen jedoch bestehen. Projekte für bessere Begehbarkeit zielen zwar darauf ab, Emissionen und die Abhängikeit von Autos zu verreingern, dabei werden die Auswirkungen von Baumaterialien auf die Umwelt jedoch häufig außer Acht gelassen. Laut UNEP ist der Bausektor allein für 21% der globalen Emissionen verantwortlich. Acht Prozent aller Treibhausgas-Emissionen werden durch Zementproduktion verursacht. Das Weltwirtschaftsforum (World Econmic Forum) betont ebenfalls die Auswirkungen der Zementproduktion auf den globalen Klimawandel und unterstreicht damit die Notwendigkeit von nachhaltigerer Stadtplanung: “Wenn die Zementproduktion ein Land wäre, dann wäre sie weltweit der drittgrößte Verursacher von Treibhausgas-Emissionen.”
Auf dem Weg zu einem praxisorientierten Begehbarkeits-Index
Wie sollen nun lebenswerte und nachhaltige Städte gestaltet werden? Urbane Gebiete breiten sich zunehmend aus, wobei immer mehr Herausforderungen im Zusammenhang mit Mobilität, dem Klimawandel und dem Gesundheitswesen auftreten. Daher müssen ganzheitliche Lösungsansätze gewählt werden.
Wir bei HeiGIT sind uns bewusst, dass es keine Einheitslösung gibt, wenn es um städtische Mobilität und Klimaschutz geht. Jede Stadt hat ihre eigenen Bedürfnisse, die von kulturellen, ökologischen und sozioökonomischen Faktoren geprägt sind. Deshalb konzentriert sich unser Ansatz auf die Bereitstellung maßgeschneiderter Geoindikatoren, die lokalen Akteuren—Planern, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessengruppen—dabei helfen sollen, die spezifischen Herausforderungen ihrer Stadt in Bezug auf die Begehbarkeit anzugehen.
Im Rahmen eines Co-Creation-Prozesses entwickeln wir einen Begehbarkeitsindex, der sich an verschiedene Regionen und Bedürfnisse weltweit anpassen lässt. In Lagos, Nigeria, beispielsweise sind fehlende Gehwege nicht unbedingt ein entscheidendes Hindernis in Bezug auf Begehbarkeit. In vielen Vierteln gibt es nur wenige Autos, und Fußgänger*innen benutzen die gesamte Straße, wodurch sich die Dynamik dessen, was einen Raum „begehbar“ macht, verändert.
In diesem Sinne sind unsere Begehbarkeits-Indikatoren darauf ausgelegt, Fragen zur Sicherheit, Zugänglichkeit und Klimafreundlichkeit im städtischen Umfeld zu beantworten:
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Wer teilt sich diesen Weg mit wem? Dieser Indikator bezieht sich auf unterschiedliche Gruppen von Nutzer*innen eines bestimmten Weges—Fußgänger*innen, Radfahrer*innen, Kraftfahrzeuge—sowie auf die Bezeichnungen der Wege.
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Können alle Menschen bequem auf dieser Oberfläche gehen? Bei der Bewertung der Oberflächenqualität werden Glätte, die Art der Oberfläche (z. B. Asphalt, Beton oder Schotter) und der Wartungszustand berücksichtigt.
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Kann mein Ziel ohne Umwege erreicht werden? Damit lässt sich der Grad der Vernetzung bestimmen—also wie gut welche Straßen und Wege miteinander verbunden sind.
Freie Daten für Begehbarkeit und die 15-Minuten-Stadt
Unser Ziel ist es, dass unser Begehbarkeits-Index auf globaler Ebene verfügbar ist und den Bedingungen auf lokaler Ebene angepasst werden kann, wozu wir offene Methoden verwenden. Wir verwenden freie Datensätze, z.B. OpenStreetMap (OSM), weil wir so die Zugänglichkeit und Anpassbarkeit der Daten gewährleisten können. Damit ermöglichen wir es unterschiedlich großen Städten mit unterschiedlich verfügbaren Ressourcen, Begehbarkeit in ihre Stadtplanung miteinzubeziehen. Im Rahmen einer “begehbaren 15-Minuten-Stadt” hilft dieser Prozess Planer*innen dabei, die Verfügbarkeit von essenziellen Dienstleistungen (wie Einkaufsmöglichkeiten und medizinische Einrichtungen) zu berechnen.
Die Verwendung von offenen Daten und Methoden erleichtert die Zusammenarbeit mit Kommunen, Nichtregierungsorganisationen und anderen Interessengruppen weltweit. Auf diese Weise können wir Planern*innen die notwendigen Werkzeuge an die Hand geben, um den aktuellen Grad der Begehbarkeit einzuschätzen und mögliche, zukünftige Verbesserungen zu simulieren.
Ein Blick in die Zukunft
Der Begehbarkeits-Index befindet sich noch in der Entwicklung und künftige Forschungsarbeiten werden zeigen, wie gut unsere angepasste Analyse der Fußgängerfreundlichkeit mit den realen Erfahrungen verschiedener Bevölkerungsgruppen übereinstimmt. Letztendlich planen wir, diesen Index über eine Online-Plattform zu verbreiten, um den Städten die Werkzeuge an die Hand zu geben, die sie benötigen, um eine klimabewusstere städtische Umgebung zu schaffen.
Um über künftige Entwicklungen und Veröffentlichungen in den Bereichen Mobilität, humanitäre Hilfe, Klimaschutz und Datenanalyse auf dem Laufenden zu bleiben, folgen Sie unseren Social-Media-Kanälen und halten Sie sich in unserem Blog auf dem Laufenden.
Verweise:
https://www.frontiersin.org/journals/built-environment/articles/10.3389/fbuil.2021.721218/full
https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/downloads/report/IPCC_AR6_WGIII_SummaryForPolicymakers.pdf
https://globalabc.org/global-status-report
Moreno, C.; Allam, Z.; Chabaud, D.; Gall, C.; Pratlong, F. Introducing the “15-Minute City”: Sustainability, Resilience and Place Identity in Future Post-Pandemic Cities. Smart Cities 2021, 4, 93-111. https://www.mdpi.com/2624-6511/4/1/6
Ludwig, C., Lautenbach, S., Schömann, E. M., & Zipf, A. (2021). Comparison of simulated fast and green routes for cyclists and pedestrians. In 11th International Conference on Geographic Information Science (GIScience 2021)-Part II. Schloss Dagstuhl-Leibniz-Zentrum für Informatik.